20. Oktober 2017

"Untreue - was Kinder daraus lernen" Teil 2

Nudelholz für Untreue
Nudelholz für Untreue
(Photo credit: schoschie)
Utes Geschichte begann im Teil 1 von "Untreue - was Kinder daraus lernen". Jetzt nach den Fakten ist Zeit für Überlegungen. Gleich vorweg: Dazu zählt nicht Moral.
Natürlich ist es besser, auch moralisch wahrscheinlich für die meisten integerer, wenn es keine Affäire gäbe. Aber ich und meine Klienten leben nun mal auf diesem Planeten und müssen sich mit dessen Realität beschäftigen. Hier nun die Antwort auf die Frage:

Was lernen Kinder aus der Untreue ihrer Eltern?

Eltern sind zu Beginn die wichtigsten Bezugspersonen für ihre Kinder. Von ihnen lernen die Kinder. Vater und Mutter dienen ihnen beesonders in den ersten Jahren als Orientierung für fast alles.

Eine Mutter erzählte mir einmal lachend, als sie ihre Tochter aufforderte, nach der Musikstunde heute noch ihr Zimmer aufzuräumen, dass ihre Tochter die Augen verdrehte und "Oh Gott, wie soll ich das alles bloss schaffen" jammerte.
"Das ist mein Spruch!", lachte die Mutter, "da sieht man wieder mal, wie einem Kinder den Spiegel vorhalten, wie man sich so benimmt im Leben."


Kinder lernen immer von uns. Sie lernen von uns auch Dinge, die wir ihnen gar nicht beibringen wollen.

Die erste Lektion, die Kinder lernen ist: wie gehe ich mit negativen Gefühlen um?

Schuld, Verwirrung, Einsamkeit, Traurigkeit, Angst, Sorge, Verlassenheit, Hilflosigkeit - Kinder, deren Welt auseinander bricht, werden mit einer Legion von schwierigen Gefühlen konfrontiert. Wie handelt man kontrolliert in einer Situation, die man nicht kontrollieren kann? Wie geht man mit all dem Schmerz und der Hilflosigkeit um?

Meist wird folgende Lebensregel angewendet:

Wenn ein Problem mit der Partnerschaft auftaucht, ist es besser, es zu leugnen als sich damit auseinanderzusetzen, weil das zu weh tut. Es war genau diese Regel, die Ute von ihrer Mutter vorgesetzt bekam.

Ute lernt: Genau so gehen Verheiratete miteinander um. Das ist normal. Es ist kein Problem.Der andere hat kein Recht, mir Verantwortung zuzuschieben.
Kinder lernen so, sich vor negativen Gefühlen zu schützen - indem sie sie einfach leugnen oder einfach ein Begründung für die Situation nachliefern und sie so damit rechtfertigen.

Was leider oft Erwachsene sich nicht richtig klarmachen: Diese Regel dient nur dem eigenen Schutz. Sie dient nicht dazu, das entstandene Problem einer Lösung zuzuführen. Anstatt den Dingen ins Gesicht zu blicken, die "Ärmel aufzukrempeln" und anzupacken, wird Ute mit so einem Vorbild ihre Probleme lieber klein reden, leugnen oder ihre Reaktionen als unvermeidlich und alternativlos rechtfertigen. Ute wird nicht gestalten, sondern reagieren.Wie ihre Mutter.

Eine zweite Regel hat Ute gelernt: Wie lüge ich?

Als ihre Mutter wieder im Haus lebte, verbot sie Ute, ihren Vater irgendwas über den "Onkel" zu erzählen. Auch sollte sie sagen, dass sie ihn nicht sehen würde, sonst würde ihr Vater wieder wütend. Ute erinnerte sich gut daran, wie es war, als ihr Papa wütend wurde beim ersten Streit über den "Onkel". Mutter hatte versprochen, ihn nicht mehr zu sehen. In Wirklichkeit traf sie sich jeden Tag mit ihm. Ute lernte also ein neues Verhaltensmuster von ihrer Mutter:
  • Lügen ist erlaubt, wenn es dir hilft, Ärger, negative Gefühle oder Bestrafung zu vermeiden.
  • Lügen ist erlaubt, wenn es dazu dient, deine Interessen gegenüber dem Partner zu durchzusetzen. 
  • Um nebenher ein geheimes zweites Leben zu leben, ist es ok, zu täuschen.
  • Um sein Privatleben zu schützen, ist es ok, zu lügen und andere zum Lügen anzustiften. Jeder hat ein Recht auf Privatleben, auch wenn er damit anderen hinter deren Rücken weh tut.
  • Es steht Vati nicht zu, zu wissen, was Mutter privat so tut. 
Letzteres diente als Rechtfertigung für die eigenen Unwahrheiten ihrer Mutter. Früher hätte ihre Utes Mutter das selbst nie so gesehen, aber seit der Onkel zu Besuch kam, hat sie sich verändert. Ute beobachtete alles aufmerksam. Sie musste die Regeln schnell lernen, denn ohne sie, würde sie in ihrem Leben, so wie es von ihren Eltern gestaltet wird, nicht mehr zurecht kommen.

Für mich ganz wichtig:Das alles hier ist keine moralische Wertung. Moralische Urteile überlasse ich anderen, und von denen gibt es bereits so viele, dass ich mich nicht in diese Reihe eingliedern brauche. Etwas anderes hat viel mehr Gewicht:

Mit einer Affäre verletzen wir diejenigen am meisten, denen wir etwas bedeuten. Wir rationalisieren sehr stark, rechtfertigen unser Tun, indem wir die Gründe für unser Verhalten im Verhalten des anderen suchen. Dadurch brauchen wir keine Verantwortung zu übernehmen - sprich, wir vermeiden Schmerz und Schuldgefühle. Gleichzeitig signalisieren wir, unseren Kindern, dass wir eben das, was wir vermissen, uns woanders holen.
Eine schlechte Paarbeziehung ist für Kinder hart genug. Es unterminiert ihr Bedürfnis nach Sicherheit und verhindert dadurch Wachstum und Reife. Kommt noch gelebte Untreue hinzu, hat auch dies für Kinder viel mehr "Erziehungsgehalt" , als sich die erwachsenen Eltern das vorstellen können.
Von der Gehirnforschung wissen wir: Mit je mehr Emotion eine Information geliefert wird, desto stärker prägt sie sich bei uns ein. Das, was uns emotional berührt, verankert sich stärker, als die Dinge, denen wir gleichgültiger gegenüber stehen. Streit, Untreue und eine Affäre schaffen ein emotional heiß aufgeladenes Klima. Die Lektionen, die wir unseren Kinder daraus vermitteln, können in ihrer Tiefe ein ganzes Leben prägen: in privaten künftigen Beziehungen, bei beruflichen Erfolgschancen, und bei vielen anderen alltäglichen Denk- und Verhaltensmustern.

Nochmal: Es geht hier nicht um Moral, es geht hier um Elemente, ohne die ein Zusammenleben gar nicht möglich wäre. Natürlich sind wir keine Supereltern, und solch ein Anspruch schafft für Kinder eh mehr Leid als er nützt. 

Aber selbst bei so etwas wie einer Affäre haben wir als Erwachsene die Möglichkeit, uns zu entscheiden: Ob wir die schon sehr belastenden Folgen durch weitere Eskalation, Lügen, Drohungen, Hasstiraden etc. verschlimmern oder nicht. Kurzum: wir haben die Wahl als Erwachsene, ob wir - jetzt im Militärjargon gesprochen - aus einem Grenzscharmützel mit Todesfolge - zum Krieg aufrufen oder andere Wege beschreiten.

Wer selber einmal erleben musste, wie es ist, wenn der Partner, die Partnerin eine Affäre hat, wer wie ich auch als Mediator tätig ist, weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist: äußerst schwierig!

Aber der Blick auf die eigenen Kinder hilft. Er hilft uns, von uns von unseren Verletzungen abzusehen und das Wohl unserer Kinder im Auge zu behalten. Wir können erkennen, dass die Bedürfnisse unserer Kinder andere sind als unsere. Was mir in meiner Wut, Sorge, was meiner verletzten Seele gut tun würde, ist nicht das, was meine Kinder brauchen. Das zu erkennen und mich für meine Kinder zurückzunehmen, das ist meine Aufgabe als Erwachsener. Niemand anders als ich, kann, soll und wird das machen.

Als eine erzürnte Ehefrau den Computer ihres Noch-Mannes aus dem Haus und in den strömenden Regen warf, meinte ihre Tochter zu ihrem Vater: "Du musst das verstehen, Papi, die Mama braucht das jetzt einfach!" Spätestens hier wir deutlich, dass die sechzehnjährige Tochter mindestens eine von den oben genannten Regeln gelernt hatte. 
Ich halte das für falsch! Ich bin der Meinung, es ist besser, seinen Kindern beizubringen, wie man mit Schwierigkeiten oder Scheitern umgeht ohne den Schaden noch zu vergrößern. Racheeskalationen bringen gar nichts. Das Motto "Auge um Auge, Zahn um Zahn" führt nicht zum Frieden, sondern zu einer Gesellschaft von Zahnlosen und Blinden.
Eine Affäire zu haben, egal ob offen oder geheim, bedeutet immer, Information für die eigenen Kinder. Das Dümmste, worauf man sich zurückziehen kann, ist die Behauptung, die Kinder kriegen nichts mit. Kinder nehmen sehr wohl wahr, wie liebevoll und kompetent ihre Eltern miteinander umgehen. Sie sind an der Qualität von deren Paarbeziehung am nächsten dran. Einzelheiten bekommen sie nicht alle mit, d´accord. Aber wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, unser Paarleben sei ein abgeschirmter Raum.
Unsere Kinder lernen immer von uns Lektionen, die wir ihnen eigentlich nicht beibringen wollten. Aber wir können das ändern.

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