13. November 2016

Leonard Cohen und der Tod. Was wir für unser Leben lernen können

Seine Texte sind wie Gebete, soll Bob Dylan einmal gesagt haben. Es war die Todesnachricht in den Links der Suchmaschine, die mir einen kleinen Schlag versetzte.
 Dabei habe ich es gewusst, als ich seine letzten Musikstücke hörte. Meiner Schwester schrieb ich noch im Chat: "Leonard Cohen stirbt". Doch wie so oft ist es anders als erwartet.

Leonard Cohen ist tot. November steht in Deutschland feiertagsmäßig im Zeichen des Todes. Hier einige Einblicke in das, was ich als Therapeut bislang vom Tod weiss.


Bei Leonard Cohen fehlen einem immer die Worte. Kein Wunder, denn seine kommen daher, wie aus Marmor gemeisselt. Ein Meister des poetischen Augenblicks.

Nicht als Gebete würde ich seine Texte bezeichnen, doch ihre Bildgewalt, gebaut auf Schlichtheit, ist eindrücklich wie eine gotische Kathedrale. Seine Lyrik gräbt sich tief in die menschliche Existenz, hinein in die Dunkelheit, die dort unten wohnt und in die wir gehen, wenn der Tod kommt. Hier kulminiert alles, was uns ausmacht:
Leidenschaft, Schmerz, Sex, die Lust am Leben.

All das wird eingesponnen in bruchstückhafte Existenz, die umschlägt in ein grösseres Ganzes für das es zwar keine Beschreibungen gibt, aber unzähliche Bilder. Cohen hat sie eingefangen. Und damit dne Menschen ein Gefühl der Verbundenheit und Heimat gegeben. Viele sagen, die Atmosphäre auf seinen Konzerten pendelt zwischen Andacht und Exstase.

Der Tod ist der Einzige, der wirklich 100 Prozent Veränderung bringt

Als Therapeut hat man weniger mit Sterbenden zu tun, eher schon mit Angehörigen. 850 000 Menschen sterben pro Jahr in Deutschland. Manchmal ist der Tod erwartet worden und als er dann kam, brachte er für die Angehörigen mit all seiner Trauer auch ein Stück Ruhe mit sich. Bei anderen jedoch tritt er die Tür ein, geht mit stakkatoähnlichen Schritten durchs Zimmer, um von einer Sekunde auf die andere eine leere Stelle zurückzulassen. Gevatter Tod ist der Einzige, der das Leben meist mehrerer unwiederbringlich und zu 100 Prozent ändert.

Nicht nur ist auf einmal eine Person weniger im Raum, das Leben der Angehörigen selbst erscheint ihnen oft durchsichtig wie die Nacht von Samheim auf die Anderswelt. Leonard Cohen war immer schon für magische Atmosphäre zuständig.

Nach dem Tod kommt noch einmal der Tod

Totenrituale sind Haltegriffe, wenn einem der Tod aus der Spur stösst, und die schwankenden und überbordenden Gefühle an einen Fixpunkt stabilisieren können. Die meisten Menschen erholen sich nach dem Trauerfall nach mehreren Wochen.

Doch die Erinnerung und der Schmerz bleibt noch länger, manchmal kocht er hoch, wie Milch überschäumt, wenn die Temperatur nicht herunter reguliert wird. Es sind die zahlreichen kleinen Dingen, die einem an den Verstorbenen bei Gelegenheiten erinnern, die dieses Hochkochen verursachen. Es ist dies die Phase des Neusuchens, sich Trennens. Auch sie kann Wochen, aber auch Jahre dauern. Geduld ist hier angesagt, denn vieles scheint sich jetzt im Kreis zu drehen.

Doch wie auch sonst das Leben nicht zweidimensional ist, sind auch diese Kreisbewegungen in Wirklichkeit Spiralen, Bewegungen des Auf und Abs und der Entwicklung.

Erst wenn das Suchen langsam ausdünnt, geht der Blick in Richtung Horizont. In dieser Phase ist es möglich, dass der Betroffene bisherige Helfer, Freunde, Bekannte etc. verlässt, sie erscheinen ihm womöglich jetzt als Hindernis, sind sie doch zu sehr mit dem, was zurückgelassen wird, verbunden. Ein neues Leben bedeutet auch ein Ende des Alten. Der Tod kommt also nie nur einmal.

Was Trauer bedeutet und wie jemand stirbt

Trauer ist heute fast ausschliesslich individuell, früher war es eine Angelegenheit des sozialen Umfelds. Inzwischen ist die Trauerfarbe schwarz keine Trauerfarbe, sondern Teil des lifstyles; das soziale Umfeld verzichtet auf Kondolenzbesuche, weil man ja eh nicht weiss, was man sagen soll, andere Angehörige bitte darum, von Kondolenzen Abstand zu nehmen, Sterbende sind aus der Öffentlichkeit verbannt. Tod und Trauer sind ausschliesslich privatisiert.

Leonard Cohens Werk ist eine Hereinnahme dessen, was sonst ignoriert wird. Gleichzeitig vermittelt es die Erfahrung, dass unsere Existenz vollständiger wird, wenn wir die Seiten zu unserem Leben akzeptieren, die abzulehnen uns und unsere Umwelt eigeredet hat. Was ich aus der Paliativstation weiss ist folgendes:

Ob jemand mit leichtem Herzen stirbt oder sich schwer tut, hängt nicht von der Religion, der Philosophie, der Weltanschauung oder sonstigen Umständen ab. Der einzige entscheidende Unterschied ist, ob ich ein erfülltes Leben gelebt habe.


Die einzig gute Vorbereitung ist also ein Leben, das nach meinen eigenen Massstäben gelebt wird. Nicht weil es einem die Eltern so beigebracht haben, nicht weil es die Gesellschaft so will oder der Arbeitsmarkt. Leider zeigt es sich in meiner Praxis oft, dass die meisten  anscheinend einfach nur in ihren Beruf so hineingeschlittert sind und sich wenig Gedanken gemacht haben, was ihnen eigentlich wichtig ist.

Das nachzuholen braucht Zeit. Drei Jahre soll Leonard Cohen an den Song "Halleluja" geschrieben haben. Nach der Aufnahme verweigerte sein Produktionsfirma Columbia Records die Veröffentlichung mitsamt dem Album "Various Positions". An die zehn Jahre brauchte es anscheinend, bis es über zahlreiche Coverversionen dorthiin kam, wofür es heute gilt: Als brilliantes Meisterwerk einer dichterischen Koryphäre.

"If you are a dealer, I´m out of the game"

Mit seinem letzten Album nimmt Cohen mehr als nur deutlich Abschied. Er hat es im Sitzen aufgenommen, in einem speziellen medizinischen Stuhl, weil Krankheit und unsägliche Schmerzen durch seinen Körper peitschten. Es gibt aber auch die Meldung, dass er vor den Lautsprecherboxen noch getanzt hat zur Musik.
Es würde passen. Lebensfreude und Tod sind keine Widersprüche im Zenbuddhismus, in den Cohen integriert war. Hier ein Teil seines "Abschiedsbriefs".


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