23. August 2014

Säureanschläge auf Frauen - was in Indien geschieht, hat die selbe Wurzel wie hier

Die Nachricht war neu, das Phänomen alt: Frauen wird mit Säure ihr Gesicht verätzt. Manche sterben. Die, die überleben, sind für gezeichnet. Jetzt sind einige von ihnen an die Öffentlichkeit gegangen. Sonali Mukherjee an vorderster Stelle. Rechts ist ihr Bild. Vor dem Anschlag und nachher.
Dann kam eine frauenbewegte Lobbyistin und redete mich zu mit Frauenförderung.
Und dann kam in meinen Kopf eine Erinnerung hoch ... von der  Meldung über die Massengräber von Babys, den Müttern weggenommen und verscharrt, weil sie den gottesfürchtigen Nonnen im Weg waren.
Und dabei ist mir klar geworden, dass es eine Ursache gibt für all das.

Hier zuerst der Hintergrund zu den Vorfällen in Indien, aber Vorsicht, es ist starker Tobak.





Sonali Mukherjee ist nicht alleine. 

Viele Frauen mussten das erleiden. Einige gehen jetzt an die Öffentlichkeit - als Fotomodell für eine eigene Creation! Von ihnen gibt es jetzt einen Bildband. Rupa, Rita, Sonam, Laxmi and Chanchal, photographiert von Rahul Saharan führen Mode vor - eine eigene Kollektion.


Ich sage dazu sagen nur ganz kurz: Für mich ist das ein Wahnsinn. Diese Frauen haben Rückgrad und eine Stärke in dem Maße, das jenseits aller Bewertungen ist. Die einzig richtige Reaktion wäre wohl ein tiefe Verneigung.
Um so weniger allerdings so manche politischen Exemplare, denen man (leider) ab und an begegnet.

Die Geschichten häufen sich

Als 2012 der Bericht einer Massenvergewaltigung einer Studentin in Indien - das Opfer starb später im Krankenhaus - durch die Medien ging, war der Aufschrei groß. Nachbarn, Arbeitskolleginnen, Politikerinnen warfen sich hier im Süden in die Brust und schrien "Unrecht!" Dazu galt es als schick, für "One Billion Rising" Prospekte aufzulegen.

Dann war eine Dame bei mir und wollte meine Unterstützung für eine neue Frauenpartei in Bayern. Sie selber sei in der Führungsriege dieser Partei und sie begründete ihr Anliegen mit den Massenvergewaltigungen in Indien. .... Keine Ahnung, wo da der logische Zusammenhang war. Auch nichts gegen Frauenförderung hierzulande, aber die Tatsche der Massenvergewaltigungen in Indien als Begründung zu nehmen, dass es in Bayern eine Frauenpartei bräuchte, ist mir nicht einleuchtend. Jedenfalls wollte sich die Dame wieder melden und ließ mich mit einer Menge Flyer zurück.

Als die Medien berichteten, dass zwei indische Mädchen, so um die 14 Jahre alt, nachts aufs Feld auf Toilette gingen, dabei von einer Meute vergewaltigt und anschließend an einem Mangobaum aufgeknüpft wurden, hörte ich nichts von der so frauenbewegten "Parteisoldatin". Nicht mal in der Öffentlichkeit. Anscheinend waren der Frauenpartei die indischen Frauen doch nicht so nah wie angekündigt.


Jetzt kam die Meldung über die Säureanschläge und aufgrund der völlig umexistenten Aufschrei der Frauenbewegten hatte ich die schändliche Idee, dass diese Leute Indien nur für eigene Interessen benutzen und ihnen in Wirklichkeit die Frauen egal sind(Schande über mich). Damit hakte ich die Sache und "Politikermentalität" ab und kümmerte mich um meine Patientinnen. Bis mir etwas einfiel.

Es muss nicht Indien sein

Ich erinnerte mich an eine jüngste Meldung aus Irland. Ein Massengrab  ist gefunden worden. Darin 800 Babyleichen. Der Untertitel der Nachricht lautete:

Ledig und schwanger? Im katholischen Irland galt das lange als Schande. In sogenannten Heimen für gefallene Mädchen starben tausende Babys und wurden oft anonym verscharrt. Unter Aufsicht der Kirche
Am Ende schätzen die Fachleute auf ungefähr 4000 Babys, deren man sich wie Abfall entledigt hatte.


Da fiel mir auf: Es gibt ein gemeinsames Muster

Dass diese Schwestern oder die indischen Täter letztendlich auf (religiöse / menschliche) Werte gepfiffen haben, ist nur eine Antwort an der Oberfläche.

Als jemand, der psychologisch arbeitet, kenne ich die Mechanismen, die hinter solchen Taten stehen. Sie sind nachvollziehbar (sind sie keine Rechtfertigung, nur abgesicherte Deskriptionen), aber die beschreiben nur die Abläufe.

Nein, es gibt einen anderen, tiefer sitzenden Grund. Es gibt ein Muster, das letztendlich mithilft, dass Menschen anderen Dinge antun können, von denen Tiere Abstand nehmen. Dieses Muster ist verantwortlich, dass Frauen mit Säure verunstaltet oder getötet werden, verantwortlich, dass Rassismus funktioniert, dass Politikerinnen und ihre Ehemänner mit einem Dreifachmörder Geschäfte machen, verantwortlich für die Nachbarschaftskriege in deutschen Reihenhäusern und Wohnblöcken, für die Ehrenmorde in den Clans oder für die Massenexzesse des Finanzwesens nebst Schuldenpolitik der europäischen Staaten.

Was ist das?

Menschen glauben, das, was in ihrem Kopf sich abspielt, ist richtig. Ich spreche jetzt nicht von der intellektuellen Ebene, auf der weist jeder es von sich, die Weisheit mit dem Löffel gefressen zu haben. Aber darunter, unterhalb der bewussten Reflexion ....

Als ich zum Beispiel einmal im Gespräch mit einer kirchlichen Angestellten - es ging über Ehe und Sexualität (was sonst)- einfließen ließ, wie es denn mit ihrer Einstellung aussehen würde, wenn ihre Tochter sich in zwei Jahren in der Pupertät als lesbisch entpuppen würde.
Das Wichtige für mich war nicht die Frage. Es war dieser eine Moment, diese eine Sekunde, die eintrat, als mein Satz zu Ende verstanden wurde und noch bevor die Lippen sich zu einer Antwort bewegten: Diese kurze Zeitspanne, in der ihre Gesichtszüge entgleisten. Es war ein Moment der Ehrlichkeit.
In diesem kurzen Moment war ihr Unterbewusstsein offen und aktiv, nicht das politisch korrekte, sich sozial gebende Frontalhirn, sondern die tiefer sitzenden Schichten der Persönlichkeit. Die, die zeigen, wer wir wirklich sind, wenn all die Meinungen und reflexiven Ansichten bei Seite gelassen werden. Für einen kurzen Moment hatte sich der Vorhang gehoben.

Ich habe sie selbstverständlich nicht darauf angesprochen. Ersten führe ich will niemanden vor, zweitens war ich nicht ihr Erzieher, drittens habe ich alles gesehen, was es zu sehen gab. Und viertens:
Sie ist nicht alleine damit. Unter aller unserer Oberfläche spielt sich vieles ab und den größten Teil davon bekommen wir nicht mit. Siehe den Flipper-post.

Wir alle sind so

Wir alle haben unsere Aversionen und Ansichten. Viele davon sind unbewusst und das ist die Crux dabei. Denn es ist nicht schlimm, dass wir sie haben. Schlimm ist, dass wir unhinterfragt folgen. Und das müssen wir tun. Denn wenn sie uns nicht einmal bewusst sind, wir uns mit ihnen nicht einmal beschäftigt haben, dann wirken sie in uns weiter. Und sie wirken schneller und mächtiger als unser kontrollierter präfrontaler sozial zuständiger Kortex.

Wie wir sind und wie wir wirklich sind

Es geht für mich hier überhaupt nicht um Moral. Sondern wie wir sind und wie wir sein möchten, das ist so unterschiedlich wie Unterbewusstsein und Bewusstsein. Leider ist ersteres entscheidend.
Menschen, die anderen Säure ins Gesicht schütten, die vergewaltigen und töten, Babys wie Abfall wegschmeißen, fühlen sich wahrscheinlich im Recht und womöglich löst so ihr Tun bei ihnen Genugtuung oder auch Freude aus. Hat man doch der Wahrheit und Gerechtigkeit gedient.

Doch die Wahrheit, der sie sich verweigern, ist: Sie sind nicht Herr im eigenen Haus, nicht über ihren Körper und nicht über ihren Verstand. Denn niemand wird mit Verachtung und Hass auf seine Mitmenschen geboren. Im Gegenteil. Längst haben Anthropologen, Entwicklungspsychologen den Altruismus als wesentlicher Bestandteil unserer Entwicklung entdeckt. Diese Menschen aber folgen unhinterfragt Vorstellungen, was man als richtig und falsch anzusehen hat. Es sind die festen Vorstellungen, die bei ihnen so tief bis ins Unterbewusstsein gemeißelt sind, dass sie denken, es sei die Wahrheit.
Genau deshalb funktionieren Massenvergewaltigungen. Deshalb funktioniert Faschismus. Deshalb funktioniert Hexenverbrennung. Deshalb funktioniert Säureanschlag.

Es funktioniert, wenn wir uns einer einzigen Frage verweigern: Ist das, was ich denke, ganz sicher die Wahrheit? 

Ich schreibe bewusst "uns", denn dieser Mechanismus betrifft jeden. Wer sich aber dieser Frage ernsthaft - nicht schnell, schnell - stellt (und es dauert, bis die Antwort kommt), wer wirklich aufrichtig und ohne auf andere Konventionen á la "das macht man halt so" zu hören, nachdenkt; wer womöglich dorthin geht, wo andere Vorstellungen vom Leben herrschen ... und dort sieht, wie Menschen denken, handeln, und wer wirklich über den Tellerrand hinaussieht (und das geht weiter als nur bis zum Nachbarn) ... wahrscheinlich würde das wirklich für eine bessere Welt sorgen.

So lang aber man nicht von der Wahrheit absieht, die man in seinem Kopf vermutet, so lange macht man es einfach, andere Menschen für die eigenen Zwecke zu benutzen, von mir aus als Rechtfertigung, um ihnen mit Säure das Gesicht zu verätzen oder um das Leid anderer zu benutzen, um andere für die eigene Partei einzuspannen.

Die Inhalte sind unterschiedlich und sie sind gravierend. Aber der Mechanismus dahinter ist derselbe. So lange wir das bei uns selbst nicht merken, müssen wir dem folgen.

Menschen verursachen Leid, weil sie nicht akzeptieren, das anderen nicht nach deren Vorstellungen leben oder leben wollen. Nur wer von der Richtigkeit seiner Position überzeugt ist, kann anderen so etwas antun.

Aber wie einmal ein kluger Mensch einmal gesagt hat:

Die Crux dieser Welt ist: Die Dummen sind so gewiss, und die Klugen so voller Zweifel.

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