8. Dezember 2011

Geben und Nehmen - Schenkbalance unterm Tannenbaum

Geschenk für die RosenköniginImage by DRK Schwanheim-Goldstein via FlickrWer mit niemand sich verbunden fühlt, der wird zwar nicht bedrängt, aber auch nicht umarmt. Ohne Umarmung geht es aber nicht im Leben. Wir sind seit Urzeiten soziale Wesen. Deshalb gibt es in der Gattung Mensch auch eine Kultur des Schenkens.
Viele meinen bewusst oder unbewusst, ein Geschenk soll frei sein, das heißt, man solle schenken, ohne einen Gegenwert zu fordern. Denn geben sei schließlich seliger denn nehmen.
Aber wie jede Umarmung, die nicht erwidert wird, plötzlich hölzern und peinlich wirkt, so fordert ein Geschenk immer eine adäquate Gegenreaktion.


Letztes Jahr hat mir Tante Erna zu Weihnachten über 100 Euro geschenkt ...
Gabe erfordert Gegengabe, so formulierte es bereits 1924 der Soziologe Marcel Mauss. Und Elfie Miklautz, Soziologieprofessorin zitiert im Interview Paul Ricour, der von der "Armseligkeit der Gegengabe", die "Zorn oder den Vorwurf der Undankbarkeit" hervorrufen kann, spricht. Gabe und Gegengabe - das scheint in der Natur der Sache zu liegen.

Tatsächlich fühlen sich auch viele schuldig, wenn ihr Gegengeschenk nicht auf der selben Ebene angesiedelt ist wie das, was sie selbst bekommen haben.
Gerade Weihnachten ist heikel, weil hier die Geschenke zur gleichen Zeit ausgetauscht werden. Man weiß vorher nicht, was auf einem zukommt und damit wird die angestebte Geschenke-Balance zum vorweihnachtlichen Ratespiel. Oft mit negativ bilanziertem Ausgang.

Beschenktwerden und sich schuldig fühlen stehen gerade in der Weihnachtszeit unterschwellig nah beinander. Jeder kann es bei sich überprüfen: es ist die eigene gefühlte innere Verpflichtung, etwas zurückgeben zu müssen. Oder die erfühlte soziale Missbilligung, wenn man sich offen gegen diese Verpflichtung ausspricht oder mit leeren Händen zur Weihnachtsfeier kommt.

Was aber tun, wenn der soziale Gau eintritt ...
... und man ein Geschenk bekommt, mit dem man auf der materiellen Ebene nicht mithalten kann?
Sozial vorgesehen ist ein letzter Ausweg:
das Bekunden höchter Überraschung, gepaart mit überschwenglicher Dankbarkeit.

Das mag die entstandene Verpflichtung zur Gegenseitigkeit auf der offiziellen Schiene abmildern, auflösen tut es das nicht. Zu tief sitzt die kulturell genährte Verbindung von Geschenk und adäquater Gegenleistung. Und selbst die Vereinbarung "Du schenkst mir nichts, ich schenk dir nichts" beruht auch nur auf der Idee der gegenseitigen adäquaten Verpflichtung. Was also tun?

Gibt es eine echte Lösung?
Ich glaube nicht, dass es eine echte Lösung gibt, ohne gleichzeitig den Boden zu verlassen, auf dem das Problem gewachsen ist. Praktisch bedeutet das, sich einzugestehen, dass die eigene Sichtweise des Schenkens mit adäquater Gegenleistung kein Naturgesetz ist, sondern gewachsen ist aus einer westlichen Kultur und christlicher Moral. Nichts gegen diese beiden, aber auf unserem Planeten ist das nur eine Möglichkeit der Lebensführung.
In einer offenen Gesellschaft haben wir Zugang zu vielen Alternativen und wir haben die Wahl, welche Lebensweise wir in welcher Intensität an uns heran lassen wollen. Selbst wenn wir uns in einer Sackgasse monöveriert haben, haben wir immer noch die Wahl, unsere Entscheidung, unsere Denkweise zu überprüfen und zu revidieren.

Diese Wahl haben wir immer. Wir können immer unser Denken, unsere Einstellung, unsere Lebensmaxime ändern. Immer! Und Menschen tun das häufig. Lesen Sie die Nachrichten, wenn wieder berichtet wird, dass sich Menschen nach 26 Jahren Ehe haben scheiden lassen!
Das Problem dabei ist allerdings:

Oft weiß man nicht, was das Richtige ist.
Woher soll man vorher wissen, für was man sich entscheiden soll? Und außerdem: Wie bei jeder Wahl bedeutet ein "Ja" zu etwas oft ein "Nein" zu vielem anderen. Wer sich für eines entscheidet, muss auf anderes beseite lassen.Wer also bestimmte Bräuche an Weihnachten nicht mitmachen will, wem die Familienbesuche bei Tante Erna widerlich sind, der braucht sich das nicht anzutun. Ihm sollte nur klar sein, dass er für seine Entscheidung einen Preis zu zahlen hat. Zum Beispiel die Reaktion von Tante Erna und Gefolge auf seine Entscheidung. Wem dieser Preis zu hoch erscheint, der muss halt seine Zeit mit Tante Erna verbringen und bekommt dafür vielleicht seine soziale Anerkennung als guter Junge, braves Mädchen oder was auch immer.

Aber eine Frage bleibt:

Woher weiß man vorher, ob es den Preis wert ist?
Die Frage führt in eine Sackgasse, die jedes Handeln unmöglicht macht. Niemand weiß vorher genau, wie sein Leben verlaufen wird und welche Entscheidung wirklich welche Folgen nach sich zieht. Natürlich lässt sich einiges abschätzen und Wahrscheinlichkeiten ausmachen, aber das wars dann auch schon. Alles, was wir bekommen können sind Prognosen. Und Prognosen sind Annahmen ohne Garantie oder Versicherung. Wer was anderes behauptet, will dir nur etwas verkaufen, was er nicht halten kann. Komm damit klar, denn was anderes wirst du nicht bekommen

In Wirklichkeit geht es auch gar nicht darum, ob man dieses tut oder jenes lässt. Eigentlich geht es darum, zu erkennen, was einem wichtig ist und ob man gewillt ist, dies in seinem Leben Raum zu geben oder nicht. Wie auch immer deine Entscheidung lautet, du hast einen Preis dafür zu zahlen.
Die Erfahrung zeigt: Wenn man sich darüber bewusst ist und den jeweiligen Preis auch mit vollen Bewusstsein zahlt, dann hat der Kreislauf von Geschenk und schuldhafter Verpflichtung keine Chance. Dann gibt es kein Schuldgefühl und Geschenke können mit ungetrübter Freude entgegengenommen werden.

Also: Hol alle wichtigen Infos ein, die dir möglich sind, bewerte sie, triff deine Entscheidung nach besten Wissen und Gewissen und bedauere dich nicht, egal was daraus folgt.

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