21. Februar 2016

Menschen, die nicht mehr so richtig in die Spur kommen

tracking on the track
tracking on the track (Photo credit: faster panda kill kill)
Manche Therapien dauern Jahre und es kommt nichts dabei raus. Der / die Betroffene scheint nicht mehr so richtig in die Spur zu kommen.

Warum das so ist und was wirklich dahinter steckt, dazu im Folgenden.


"Er oder sie kommt nicht mehr so richtig in die Spur." 

Gemeint ist, dass der oder die Betreffende irgendwie nicht vorwärts kommt. Ihm scheint alles irgendwie  gleichgültig zu sein. Alles, was die betroffene Person macht, geht irgendwie langsamer. Zwar nimmt sie schon Rat an, befolgt auch so manche Dinge, findet aber irgendwie an nichts ein stärkeres Interesse. Darüber reden kann man mit ihr ganz normal, die Gedanken sind klar, soziales Verhalten und Empfinden ist normal, alles in Ordnung. Nur irgendwie ... es gibt keinen "drive", wie man heute so schön sagt.

Therapie? Ja, ok, wenn du meinst.

Therpeuten erleben mit solchen Leuten alles Mögliche, nur nicht die Wiederkehr des "drives". Therapeuten besprechen dann auch alles Mögliche: Gefühle, Erlebnisse und emotionale Reaktionen darauf, Herkunfsfamilie, Partnerschaft, Wünsche, Zukunftsaussichten, Karriere, Schule ...

Überall kann man was machen, kann stützen, kann begleiten ... aber man kriegt keinen "drive" rein.
Irgendetwas hängt und meist weiß weder der Betreffende noch der Therapeut, woran es krankt.

Die Lösung ist:

Es krankt gar nicht. Diese Leute sind nicht psychisch krank. Deshalb kann auch eine Therapie nicht anschlagen. Therapie ist gegen Krankheit entwickelt worden. Psychotherapie gegen psychische Störungen (so die offizielle Terminologie). Die Leute sind aber nicht psychisch gestört. Therapie ist also nicht das passende Mittel.



Der Hintergrund des Ganzen

So lange wir uns in der Normalbiographie bewegen, folgen wir einer bestimmten Spur: Werde erwachsen, lerne, finde einen guten Job, einen Partner, gründe Familie oder mach Karriere oder beides, übernimm Verantwortung, bilde dich weiter usw.

Dieser Lebenswandel bildet die Spur. Es ist unser Lebensweg. Wir erzählen von dieser Spur, wenn wir im Bewerbungsgespräch gefragt werden, warum wir uns für den Job als geeignet halten. Wir holen die Antwort aus unserer Spur, wenn wir von jemand gefragt werden: "Und was machen Sie so beruflich?"

Unsere gelegte Spur ist weit mehr als nur eine Datensammlung. Sie gibt uns Identität und Biographie. Die Spur, das das, was mich ausmacht. Die Spur bin ich.




Was passiert, wenn Menschen aus der Spur geraten?

Genau das gleiche, wenn Sie mit Ihrem Auto von der geteerten geraden Straße in den Waldweg abbiegen: Es ändert sich alles. Alles, was auf der Strasse gegolten hat, Regeln, Fahrweise etc., gilt jetzt nicht mehr

Als erstes 

müssen Sie runter vom Gas, ansonsten knallen Sie demnächst gegen den Baum. Also Tempo rausnehmen. Im Wald geht es langsamer vorwärts.

Zweitens: 

Waldwege sind von Natur her weder geteert und noch schnurgerade. Es schlängeln sich Kurven um Bäume und Sträucher, die Sicht ist begrenzt, der Horizont verstellt und die Bodenbeschaffenheit wechselt. Fahren auf Sicht ist die Devise und ohne Weitblick weiß man nicht, was kommt. Das einzige, was man tun kann, ist die nächste Kurve zu nehmen, wenn sie sich auftut. Langfristiges Planen ist nicht drin.

Drittens: 

Wenn ein Ende des Waldes nicht in Sicht ist, kann man nicht einschätzen, wann die Fahrt zu Ende sein wird. Man kann auch niemand fragen, da keiner den Waldweg kennt, auf dem man gerade ist. Nicht selten bewegt man sich im Kreis und merkt es nicht gleich. Im Wald dauert alles länger.

Warum Menschen aus der Spur geraten?

Weil sie etwas von der Fahrbahn abbringt! Irgend etwas ist passiert.

Häufig ein großer Verlust. Ein Schlag, der einen trifft und unter dem etwas Wichtiges in einem selbst zerbricht. Es ist wie bei einer Spiralfeder, die einmal überdehnt war und die man anschließend zurück in ihre Form drücken will. Man kann sie zwar noch als Feder einsetzen, aber ihre Spannkraft ist weg.
Der Philosoph Nietzsche gebrauchte einmal das Bild vom  Schwamm, der den Horizont auslöscht, um das Verschwinden des Bewusstseins für Gott bei den Menschen zu illustrieren.
Den meisten ist nicht unbedingt Gott abhanden gekommen, wohl aber der Horizont.


Ohne Horizont kann man keine großen Richtungsbestimmungen vornehmen.

Menschen mit großer Verlusterfahrung funktionieren nicht mehr nach "bürgerlichen Vorstellungen des Straßenverkehrs". Sie fahren im Wald und es ist keine psychische Störung des Fahrers, wenn er sich in seinem Fahrstil dem Wald anpasst. Sein Verhalten ist eine gesunde Reaktion auf das, was geschehen ist. Das Problem liegt nicht bei ihm, sondern bei denen, die nicht sehen, dass da jemand nicht mehr auf der Straße ist.

Ein wichtiger Punkt: 

Mit einem Fahrzeug können Sie im Wald keine Abkürzungen nehmen, sondern Sie müssen den Weg bis zum Ende durchfahren. Anders ist kein Durchkommen. Es bringt nichts, immer wieder zu drängen, doch jetzt endlich mal sein Leben in die Hand zu bekommen.

Die Frage ist doch: 

Gestehen wir Menschen zu, ihren eigenen Rhythmus zu finden und auf den Wegen zu fahren, die sie eben nehmen. Müssen wir sie zum Problem erklären, statt das als Problem zu bezeichnen, das sie gezwungen hat, auf einen Waldweg abzubiegen?


Und wenn sie gar nicht mehr zurück finden?

Dann heisst das nur, dass Menschen nicht nach unseren Vorstellungen leben. Punkt. Warum sollten wir das Leben durchnormieren? Das ist erstens unrealistisch und zweiten langweilig.

Ein Leben außerhalb der Spur

ist beileibe kein Zuckerschlecken. Die Betroffenen haben es sich nicht bequem gemacht (wie Aussenstehende zuweilen vermuten), denn ohne sichtbaren Horizont lebt es sich nicht bequem.

Aber ich habe den Verdacht, Menschen ausserhalb der Spur übernehmen, wenngleich unfreiwillig, eine wichtige Funktion in der Gesellschaft:

Sie zeigen, dass ein Leben sich nicht dem Diktat dessen unterwirft, was der  Mainstream für richtig hält. Sie zeigen, dass das Leben mehr ist als die Spur, die wir uns erschaffen.

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