21. November 2015

burnout oder: warum Ackermann und Middelhoff längst nicht mehr wichtig sind


Burnout hat als Volkskrankheit der Engagierten anstelle der Engagierten Karriere gemacht. Doch der Wind dreht sich. Ausgebrannte Führungskräfte und erschöpfte abhängig Beschäftigte gelten nicht mehr als Helden. Trotzdem ist eine gewisse Schizophrenie im Umgang mit dem Phänomen zu beobachten. Und das verhindert, dass es besser wird.

Die Ikonographie der Arbeit

Seit 2013 ist Burnout auf dem Rückzug – nein, nicht wirklich. Es wird nur genauer hingeguckt, was dahinter steckt und entsprechend oft landet man beim eigentlichen Leiden: Depression. Klingt aber irgendwie unschöner. Deshalb bleiben viele bei Burnout. Hauptsache, nichts kratzt am Leitbild des leistungsstarken, harten Arbeiters. Dieses Bild hat Bedeutung. Dieses Bild hat Geschichte.

Die Ikonographie des muskelbepackten Mannes mit Helm, ...

... der mit Wucht einen mächtigen Hammer schwingt, ist nur die Spitze des Eisbergs. Dahinter steht eine ganze Menschheitsgeschichte. Zeit seiner Existenz hat der Mensch seine Arbeit als Baustein seines Selbstbildes herangezogen. Heraus kam immer irgendein Hero. 

Selbst im Barock, ...

... als die Adeligen mit ihren ausufernden Festen uns heutigen Betrachtern unwillkürlich zur Frage drängen, wann in diesen Kreisen überhaupt einmal gearbeitet wurde, ließen sich die oberen Schichten mit Feldherrnblick und in Souveränitätspose portraitieren, als ob sie gerade mitten im Zentrum irgendeines gewichtigen Geschehens stünden: Hero!

Ungefähr 250 Jahre später  ...

... wollten die Top-Manager und ihre auf der Karriereleiter emporstrebenden Mitarbeiter gar nicht mehr aufhören zu arbeiten. „Die nächsten 15 Jahre gehören der Firma“, hörte ich als Student einen Mann in einem Interview zum Thema "Arbeit und Familie" damals sagen. Mir war es damals schon etwas komisch dabei. Erstens, warum sollte ich überhaupt jemanden meine Lebenszeit übereignen; zweitens, warum heirate ich überhaupt, wenn ich für meine Lebenszeit etwas anders wichtiger ist?

Aber Arbeit war der neue Leistungssport für Normalos. Feiern, Schlafen, Urlaub, nichts tun – das war was für Drückeberger, Faulenzer und andere Nichtsnutze. Zu denen gehörte man nicht.

Zentrum dieses Kosmos war das Büro. 

Wann jemand kommt und wann jemand geht, war in der Arbeitswelt DER Indikator für den Arbeits-Hero. Lange Arbeitszeiten und 18-Stunden-Tage galten als Ausweis von Engagement und harter Arbeit. Auch wenn diese zum überwiegenden Teil in nutzlosen Sitzungen mit kommunikativen Endlosschleifen verbracht wurden. Egal. Hauptsache lange da. Nine to five, das war was für Apparatschicks, nicht für Leute, die etwas bewegen wollten.

Und ja, das ging gut, so lang man das traditionelle Familienbild pflegte. Wehe, wenn die Frau ein eigenständiges Berufleben wollte. Doch die Zeiten ändern sich und das System torpediert sich inzwischen selbst.

Der Turbo der Arbeit

Das Dumme nämlich an diesem in sich geschlossenen Kosmos war der Siegeszug der digitalen Welt und ihre Vernetzung. Sie erweiterte den Arbeitskosmos einerseits tatsächlich bis rund um die Uhr und gleichzeitig machte sie viele Schultern, die bislang die Arbeit mitgetragen hatten, überflüssig. Zusätzlich drückte sie aufs Tempo.

Belastung mal 2 geteilt durch mehr als die Hälfte der bisher verfügbaren Hände. Die Formel zeigt eindeutig, dass es zuviel wurde. 

Burnout als Begriff schuf in dieser Situation die Möglichkeit, ...

... die erzwungene Zwangspause sich zu nehmen ohne gleichzeitig den Mythos des Helden der Arbeit aufgeben zu müssen. Wer nicht gefährdet war, wer nicht am Rande seiner Belastung kämpfte, war vielleicht alles mögliche, nur kein beachtenswerter Leistungsträger.

Ist Depression bis heute negativ besetzt, so haftete dem Burnout – einem diagnostisch ziemlich verwaschenem Zustand – der leise Hauch des Glamours aus vergangenem produktiven Leistungen an: Der erschöpfte Held, der sich zurückzieht, aber doch noch als Vorbild für alle in den Erzählungen dienen kann.

Miriam Meckel, Lebensgefährtin von Anne Will,  ...

... schien ein Paradebeispiel dafür zu sein: 

Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, Fernsehredakteurin, Moderatorin, Talkmasterin, Professorin für Kommunikationswissenschaften, Regierungssprecherin von Wolfgang Clement als Ministerpräsident in NRW, Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Mitglied in der International Communication Association, Beiratsmitglied der internationalen Zeitschrift für Journalismus „Message“, Mitglied in der internationalen Jury der Development Gateway Foundation … 

Allein die Liste ihrer Berufe und Tätigkeiten macht müde. Gehandelt hat man sie als "Powerfrau", was auch nichts anderes heißt als "Hero". Und ja, ihr Zusammenbruch führte dazu, dass Miriam Merkel ein Buch über ihren Zusammenbruch schrieb. Danach marschierte sie mit der Zusammenbruchsgeschichte durch die Talkshows, machte aus dem Zusammenbruch einen Marketinggang und machte weiter. Hero!

Und heute?

18-Stunden-Tage sind out. Ihre Vertreter haben ihren Vorbildcharakter eingebüßt. Josef Ackermann hat neulich in einem Interview ausgeführt, dass er eine Ehe traditionellen Musters geführt habe, für die Kinder zu wenig Zeit hatte, er diese selber nicht ganz verstehe, wenn sie als Väter es heute anders machten, er dagegen es wieder so machen würde und dass überhaupt mit Elternzeit viel Missbrauch im Angestelltendasein getrieben würde.

Das war alles, was Ackermann dazu einfiel

Der Interviewer kam nicht auf die Idee, zu fragen, ob man es nicht auch so sehen könne, dass solcher Lebens- und Karrierestil wie ihn Ackermann hinter sich hatte, als Missbrauch gegenüber der Familienzeit zu werten sein könnte. Wahrscheinlich würde Herr Ackermann so einen Fragesteller ansehen, als hätte er sich etwas eingeworfen.

Thomas Middelhoff, einst gefeierter Star am Managerhimmel, hat mit seinem unrühmlichen Ende dem Abgesang an den Masters oft the Univers womöglich ein Denkmal gesetzt. Aus dem Vorzeigestrahlemann blieb ein Max Mustermann , dem im Gerichtssaal die Uhr abgenommen wurde, um hinterlassene Schulden zu begleichen. Vermisst ihn jemand? Vermisst jemand Ackermann?

Das Zeitalter des Heros ist passé

Auf Mangerebene gibt es einen anderen Trend inzwischen.

Nur noch gut die Hälfte der 1800 in einer Studie befragten Führungskräfte sind bereit, für den nächsten Karriereschritt innerhalb Deutschlands den Wohnsitz zu verlegen. Vorher waren noch 63 Prozent der Manager. Heute wollen sie lieber die Branchen wechseln oder eine neue Sprache lernen als umzuziehen. Ebenso ist ihre Bereitschaft gesunken, sich über einen längeren Zeitraum von der Familie zu trennen. Nur noch 38 Prozent würden ein Pendlerdasein mit höherer Vergütung und Verantwortung für den nächsten Karriereschritt auf sich nehmen, gegenüber 45 Prozent 2012.

Der Hero ist umgezogen

Seelische und körperliche Verwundungen, die als Folge einer Hero-Einstellung sich Männer und Frauen zugezogen haben, gelten nicht mehr als vernünftig. Männer wie Frauen wünschen sich generell weniger Dominanz von Arbeit in ihrem Leben.
Gleichwohl sie im Mittelstand mit seiner Angst vor dem Abstieg ihren Kindern einbläuen, wie wichtig Leistung doch sei und dass man auf der Arbeit ja auch nicht einfach sagen kann, jetzt hör ich auf. Die breite Masse scheint mit oder wider besseren Wissens die Ikonographie des muskelbepackten Arbeiters weiter zu pflegen.

Was lernen wir daraus? Der Hero stirbt nicht. Er wandelt nur seine Gestalt. Und damit bleibt das Problem. Leider.

Quellen:
  • hier der Bericht über die angesprochene Studie 

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