6. April 2015

Arbeitnehmer riskieren für den Job ihre Gesundheit - und die wichtigste Frage in meinem Leben

Heute schlage ich vermutlich ein paar Leuten ins Gesicht. Es ist nicht die feine englische Art, jemanden, der gebückt geht, auch noch dorthin zu treten, wo andere Leute darauf sitzen. E ist auch definitiv nicht meine Absicht, aber manche fassen eine notwendige Frage als Kränkung auf.

In Wirklichkeit aber brauche ich dringend eine Antwort. Auf eine sich sehr aufdrängende und sehr vernünftige Frage. Sie lautet angesichts der Situation der deutschen Arbeitnehmer so:



Wieso zum Teufel machen Sie das? Ja genau: Sie. Gehören Sie zu den 23 Prozent?

  • 23 Prozent der Befragten machen keine Pausen, jeder Achte kommt auch im Krankheitsfall zur Arbeit
Vor etlichen Tagen saß bei mir eine Klienten und hatte eine Nase, so groß wie ein Kürbis. Gleichzeitig schniefte und nieste sie alle zwei Minuten und alles, Augen, Nase, Mund war verklebt von Schleim. Ich dachte mir schon, das geht schief und prompt ... drei Tage später schlug die Grippe auch bei mir zu.

Warum das alles?

Ich hab ein bisschen herumgefragt. Seit mehreren Jahren schon. Die Standartantwort von Leuten aus dem Mittelstand lautete: Angst. Besonders aus dem sozialen Bereich kam die Antwort: Angst.

Und ich frage jetzt: Vor was bloß?

Auch hier ist die Antwort eindeutig: Vor dem Abstieg. "German Angst", nannten die Briten das und sie ist, obwohl sie von anderen totgesagt wurde, fröhlich wieder da. Und ich bleibe bei meiner Frage: Wovor genau?



Jetzt kommt wahrscheinlich für etliche der Schlag ins Gesicht):

Vor welchen Abstieg? Vor Harz IV, lautet die genauere Auskunft.

Wieso das denn?
Deutschland hat wahrscheinlich das beste Sozialgefüge der Welt. In wie vielen Ländern wird Ihnen, wenn Sie länger arbeitslos sind, die Wohnungsmiete bezahlt? Manche jammern, weil das nur für eine Wohnung gilt, die "angemessen" ist in Behördenaugen. Was im Klartext so viel heißt wie: Wir setzen einfach subjektiv fest, wie viele Quadratmeter wir für richtig halten und die Meinung anderer ist uns egal.

Natürlich ist das Willkür, aber trotzdem: In anderen Ländern - und es sind fast alle - landen Sie, können Sie die Miete nicht zahlen, in der Gosse. In Deutschland nicht.

Ist es leicht mit Harz IV? Nein, definitiv nicht. Ist es mit Harz IV leichter als in USA, Thailand, Kambodscha, China, Vietnam, Malaysia, Australien, der südamerikanische Kontinent ... selbstverständlich. Die überwiegende Mehrzahl der Menschen auf dieser Welt würde sich die Finger nach Harz IV abschlecken.


Jetzt kann man sagen: wir sind aber in Deutschland und nicht in USA etc. Richtig! Und deshalb sind  priviligiert. Selbst Hart IV-Bezieher sind gegenüber den arbeitslosen Menschen anderer Ländern priviligiert.

Wenn Sie keine Arbeit haben und kein Geld verdienen und krank werden ... wer bezahlt die Behandlung? Wer bezahlt den Arzt? Wer bezahlt die Krankenhausrechnung? Wenn Sie Krebs haben (was an Ihnen immer verübergehen soll!), wer bezahlt die Maschinen, die zur Behandlung nötig sind? Wir Deutsche wissen nicht einmal, wie viel das alles kostet, so verwöhnt sind wir, weil uns die Kosten immer abgenommen werden.


Wieso also so viel Angst? Die Lebenserhaltungsmaßnahmen sind gesichert. Ist das die Angst von wohlstandverwöhnten Bürgern, die vergessen haben, wie es wirklich im Leben zugeht?

Ich weiß, solche Fragen sind wie ein Schlag ins Gesicht und es gehört sich nicht für einen Therapeuten. Aber ich bin nicht der Durchschnittstherapeut. Ich gehöre einer Therapierichtung an, die ein waches Auge darauf hat, in welcher Umgebung der Mensch lebt und wie er sich in dieser positioniert. Während Verhaltenstherapeuten nur das Individuum sehen, wissen wir sehr wohl, dass oftmals nicht die Patienten das Problem sind, sondern dass ihnen von anderen Probleme gemacht werden.

Zum Beispiel, dass einem eingeredet wird, dass man Angst haben soll. Dass alles gefährlich ist. Dass man sich dem Nützlichkeitsdenken unterwerfen muss und man nur so viel Wert ist, wie man für andere nützlich ist. Und dass der Abstieg immer ganz nahe ist.



Ich lasse es mir nicht anmerken, aber ich bin innerlich immer entsetzt, wenn ich eine solche Einstellung bei den Menschen feststellen muss.
Und was mich noch mehr schockiert:

Keiner scheint von alleine auf den Gedanken zu  kommen, dass eine solche Einstellung Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Dass irgendwann der Körper streikt. Die ganze Psychosomatik lebt von solchen Prozessen: Der Körper reagiert chronische Anspannung. Unsere Psyche auch. Wenn das parasympatische System ständig zurückgefahren wird, ist das wie ein Auto, dessen Öl zur Neige geht. Der Motor geht kaputt. Mit uns ist es nicht viel anders.


Inzwischen findet sich kaum mehr eine reine Phobie, eine einfache Depresseion oder einen chronischer Schmerzpatient. Die, die kommen, haben gleich mehrere Dinge auf einmal. Die Seele ist an so vielen Stellen angebohrt, durchlöchert und zerschlagen, dass, repariert man das eine, dies sofort wieder durch etwas anderes kaputt gemacht wird.

Es ist, wie wenn jemand zum Tierarzt einen Fisch bringt, der durch vergiftetes Wasser krank geworden ist. Der Arzt macht ihn gesund und anschließend geht der Fisch zurück ins vergiftete Wasser.



Viele reagieren allergisch, wenn man sie darauf hinweisst. Aber es liegt am Lebensstil, der aus der eigenen Weltanschauung hervorkriecht. Und meine Frage ist: Warum machst du da mit? Warum ist dir, der nur ein einziges Leben hat (bis zum Beweis des Gegenteils) das Geldverdienen und das Hamsterrad mehr wert als dein eigenes gesundes Leben? Warum tragen es so viele als Auszeichnung mit sich herum, wenn sie betonen, dass alles so schwer ist und sie so viel zu tun haben?

Bronnie Ware, eine Palliativkrankenschwester, hat ein Buch geschrieben über die fünf Dinge, die Sie bedauern werden, wenn Sie sterben. Top 1 ist: Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, mein eigenes Leben zu leben.
Kommen Sie bei solchen Erfahrungen nicht ins Grübeln? Ich ja. Aber warum hinterfragen die meisten Menschen sich so wenig? Besonders, wenn sie leiden?

Warum?

Die Antwort ist man mir bis jetzt immer noch schuldig geblieben. Der berühmte Schriftsteller Henry David Thoreau (er hat Mahatma Gandhi inspiriert) schrieb einmal:


"Die meisten Menschen führen ein Leben in stiller Verzweiflung."



Ist es das? Und wenn, dann frage ich: Warum geben Sie sich mit so etwas zufrieden? Keine Sehnsucht mehr danach, ein angstfreies Leben zu führen? Die Antwort sind die Angesprochenen mir bislang schuldig geblieben. Was denken Sie?

1 Kommentar :

  1. Anonym17.4.15

    Hallo Herr Maier,
    da steht die Angst vor dem Verlust der Selbstachtung mit unabsehbaren Folgen dahinter, meine ich. Die ist ernst zu nehmen.
    Wie Sie, halte ich es hingegen für unzumutbar, dass wir andere anstecken, weil wir uns nicht trauen bei Krankheit zuhause zu bleiben und uns auszukurieren. Dabei - wenn wir diesen Rückzug nicht wirklich nötig hätten, wären wir wahrscheinlich gar nicht erst krank geworden.
    Einen freundlichen Gruß!

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