6. Oktober 2013

Verheiratet und in jemand anders verliebt

 "Ich habe mich in einen anderen Mann verliebt. Ich bin verheiratet seit 7 Jahren und wir haben zwei Kinder. Meine Familie ist toll, aber jetzt zerreißt es mich innerlich. Ich habe große Sehnsucht nach ihm und je länger ich ihn nicht sehe, desto größer scheint sie zu werden. Ich möchte meine Familie nicht zerstören, aber die Tatsache, dass sich die Gefühle so festsetzen in mir, scheint doch von Bedeutung zu sein. Was soll ich tun?"

Immer, wenn jemand eine solche Situation mir schildert, ist mein erster innerer Impuls "Oh je!". Denn ich weiß, es gibt wenig, das so aufreibend ist, wie zwischen den Stühlen zweier Lieben zu sitzen.

Von außen betrachtet ...

ist so etwas weder unnatürlich (es kommt unter uns Primaten sein Anbeginn der Evolution vor, ganz explizit unter unseren nahen Verwandten, den Zwergchimpansen) noch statistisch selten. Doch diese Außenansicht ist und kann einem völlig egal sein, denn wenn man selber drin steckt, zerreißt es einem das Herz. Dabei stimmen beide Ansichten, sie sind nur nicht auf einen Nenner zu bringen.

Ob nun diese Liebe / Sehnsucht richtig, falsch, moralisch verwerflich oder nur natürlich ist, ist ein Thema für Moralisten und allen, die sich sicher sind, wie jemand zu leben und zu fühlen hat, wenn er richtig sein will.
Doch das hat alles nichts mit der Realität zu tun. Und Realität ist, dass diese Sehnsucht und Zuneigung genau so umwerfend wie schmerzhaft ist.

Auf der einen Seite werden einem viele darum beneiden - viele haben ihre Sehnsucht nach einer erfüllenden Beziehung irgendwo auf ihren Weg verloren, unbewusst irgendwo am Rastplatz liegen gelassen oder haben sich mit dem Leben abgefunden.

Es gibt viele viele Theorien, welche Dynamiken bei so etwas dahinter stecken. 

Sie alle sind der Versuch, irgendwie eine klarere Sicht auf solche Dilemmata zu bekommen. Andererseits ist jede Theorie wie ein Scheinwerfer in der Dunkelheit: Er erhellt einen bestimmten Ausschnitt - und lässt alles andere im Dunkeln.

Eine sehr verbreitete Theorie zum Beispiel ist, dass etwas in der eigenen Beziehung fehlt, wenn man sich in jemand anderen verliebt. Sogar Seitensprünge wären in dieser Theorie ein Ausdruck dafür, dass man etwas kompensieren will, was man in der eigenen Beziehung nicht leben kann. Oder was dort nicht leben darf.
Nun, das kann natürlich sein, aber diese Theorie setzt impliziet voraus, dass, wenn man es heilen will, die eigene Beziehung auch die fehlenden Bedürfnisse kompensieren müsste. Es ist aber sehr fraglich, ob eine einzige Beziehung alle unsere Bedürfnisse jemals abdecken kann. Es ist eher wahrscheinlich, dass dies jeden Partner heillos überfordern würde. Keine Beziehung kann alle Bedürfnisse befriedigen. In jeder Beziehung ist und bleibt naturgemäß ein Mangel enthalten. So gesehen käme man aus der Therapie niemals wieder heraus. Das ist weder sinnvoll, noch intelligent und ich behaupte, auch nicht hilfreich.

De facto haben sich alle, die in einer solchen Situation stecken, schon selber alles gefragt, was es zu fragen gibt - meist mit einem "Ja, aber..." als spontane Antwort.

Was bleibt zu tun?

  • Die Sehnsucht und Zuneigung in Freundschaft umwandeln - ziemlich schwierig.
  • Sich in eine Affäre stürzen - oft eine durchführbare Möglichkeit, jedoch sehr riskant.
  • Den Partner informieren und an sein Verständnis appellieren - nicht einfach und was käme anschließend?
  • Sich die Sehnsucht verbieten - und entsprechend leiden wie ein Schwein oder sich innerlich abstumpfen
  • Sich die Situation oder den anderen, zu dem die Sehnsucht geht, schlechtmachen und abqualifizieren - bringt einen nicht aus der Situation, man gibt nur anderen Gefühle (Wut, Aggression, eventuell Hass, Bitterkeit) Nahrung.

Als Systemiker weiß ich eines:

Jedes System, in diesem Fall die so kontrovers erlebten Beziehungen, entwickeln ein Eigenleben und das führt dazu, dass die Wahlmöglichkeiten mit der Zeit weniger werden. Das zwingt schließlich zu Entscheidungen, die zu treffen man sich anfangs nicht hatte vorstellen können. Ob das dann die richtigen Entscheidungen sind, ist offen.

Gestalten können

Doch wenn es so ist, dann könnte es sinnvoll sein, diesen Prozess nicht einfach passiv erleiden zu müssen. Wenn ich aber auf Veränderung Einfluss nehmen will, dann muss ich zu der Zeit, in der die Veränderung passiert, dabei sein. Es braucht Aufmerksamkeit und Sensibilität für die oft unterschwelligen Dynamiken und ich brauche meine Beobachtungsgabe, um die Verläufe zu erkennen.
Es braucht einen achtsamen Umgang mit sich selbet, denn nur Achtsamkeit gewährleistet die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Je besser ich die Verläufe wahrnehme, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ich mitgestalten kann.

Es ändert sich jeden Moment. 

Kein Augenblick gleicht dem vorherigen und kein Gefühl von Liebe ist das selbe Gefühl, wie es noch vor einer Minute war. Die Annahme, dass Liebe immer so sei, wie sie gerade ist, hält der eigenen Selbstbeobachtung nicht stand. Daran ist nichts Schlimmes. Das ist Realität und Liebe, die in der Realität verankert ist, ist besser als eine Liebe, die in unserer Vorstellung existiert.

Diese Achtsamkeit muss man trainieren. Denn sie ist eine Fähigkeit wie alle anderen auch und wir können sie um so besser, je öfters wir sie benutzen. Anstatt hin und her gerissen zu werden, versucht man, die vielen einzelnen Facetten zu erfassen, wie dieses Hin-und-Hergerissen sein, zustande kommt, wie es beginnt, ob es sich ausbreitet, in welchen körperlichen, gefühlsmäßigen und gedanklichen Varianten es sich ausdrückt und ob das wechselt. Und wann es durch etwas anderes abgelöst wird. Meist ergibt sich aus dieser empirischen Erfahrung ein Weg, den man gestalten kann.

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