24. Februar 2013

Wie uns Familie den letzten Nerv raubt. Oder: die Zirkularität des systemischen Arbeitens

Ganz klar, Familie zu haben, ist prima. Das Internet ist voll von Videos, die uns das rührend vor Augen führen:

Bevor wir uns nun in Reaktionen ergehen, die eher für URLs mit niedlichen Katzenbildern typisch sind, schnell nun die Kehrseite der Medaillie. Sie findet sich auf Twitter:

Vor ein paar Jahrenerzählte mir einer meiner alten Lehrer beim Klassentreffen von einem Kollegen von ihm. Als eingefleischter Junggeselle hatte es ihn nach vielen Jahren doch noch erwischt und eine steife (keine Anzüglichkeiten!) Brise wehte ihn direkt in den Hafen der Ehe und Elternschaft. Die früheren regelmäßigen Treffen mit seinem Kollegen wurden weniger, doch bei einem stöhnte er auf und beichtete meinem Lehrer eine Erfahrung:

"Mit ´ner Familie, Konrad, du glaubst es nicht. Nerven brauchst du da. Nerven!"



Konrad hieß mein Lehrer mit Vornamen, nur zur Übersicht. Um mit dem Thema fortzufahren: die Dinge eskalieren schnell. Nicht nur wenn Kinder pupertieren. Bereits früher geht es los. Die Beziehung zwischen Männer und Frauen ist schon früh schwierig.

Das klassische weit verbreitete Denken verläuft nach dem Schema Ursache - Wirkung. Die Forschung widmet sich solchen Zusammenhängen durch eine einzige Frage: Warum? Als Antwort gibt es dann Haupt- und Nebenursachen. Zuweilen formuliert man daraus eine ganze Kausalkette:
wikipedia "Kausalkette"
Für einfache klar umrissene Geschehnisse ist dies ausreichend. Bei komplexen Dingen versagt jedoch diese Denkweise. Denn oft lässt sich keine direkte Ursache finden. Die Dinge haben multikausale Ursachen. Menschen zum Beispiel sind immer vielschichtig. Lineare Kausalketten à la
Seine Mami hat ihn als Baby einmal zu heiß gebadet, das hat er nicht verkraftet. Gleichzeitig verbindet er seitdem Verbrennungen mit dem Gefühl der mütterlichen Geborgenheit. Deshalb hat er im Dorf als Jugendlicher fünf Häuser angezündet

sind deshalb unrealistisch. Die systemische Therapie hat sich vom linearen Denken verabschiedet. Sie sieht die Ursache im jeweiligen individuellen Wechselspiel zwischen Aktion und Reaktion, bei der das eine immer Anlass ist für das Nächste. Der Fachbegriff heißt Zirkularität.
Zirkularität bezeichnet das Verhalten von Elementen eines Systems, bei denen das Verhalten zugleich Ursache und Wirkung von  anderen  Elemente dieses Systems ist. Die Phänomene beeinflussen und  bedingen sich wechselseitig. Das Tun des Einen bewirkt das Tun des Anderen. (Lexikon für Psychologie und Pädagogik)
Der klassische Witz aus der Paartherapie dazu:
Sie beklagt sich, dass er trinkt. Er sagt, er trinke, weil sie ständig nörgelt.

Je öfters die Gedanken, die Gefühle oder das Verhalten den selben Ablauf haben, desto mehr verstärken sich diese Muster. Irgendwann ist das Muster so stark, dass schon ein Blick des anderen genügt, um den Gefühlskreislauf in Gang zu setzen.

Wenn ich die schon seh, krieg ich so einen Hals


sagte mir mal ein Geschäftsführer über eine bestimmte Abteilung. Solche zirkulären Prozesse finden in jedem sozialen Lebensbereich statt. Hier ein Beispiel, wie sich schon Baby und Hund in ihrem Verhalten gegenseitig verstärken:


Das belastende Beispiel für Zirkularität ist der allbekannte Teufelskreis. Wer einmal in so einem geraten ist, der weiß, dass es für einen äußerst schwierig bis unmöglich ist, auszusteigen. Oft geht es nur mit Kontaktabbruch und Neuanfang - soweit der dann noch möglich ist.

Da die systemische Therapie die Zirkularität als normal im Leben ansieht, hat sie sich früh damit beschäftigt und Methoden entwickelt, damit produktiv umzugehen.

Ein typisches Beispiel für einen zirkulären Kreis ist die Erfahrung: "Ich würde ja gerne, aber der andere will nicht."

Die gute Nachricht: Es muss nicht zum Abbruch der Beziehung kommen. Man muss nicht das Ende der Beziehung riskieren, um neu anzufangen.Eine gute Nachricht vor allem für Paare. Wir können die Dinge hinkriegen ohne auf Alles-oder-Nichts zu setzen.

Die schlechte Nachricht: Solche Muster stabilisieren sich schnell und sind sie einmal verfestigt, ist es für Beteiligte sehr sehr schwer, alleine auszusteigen.

Die wiederum gute Nachricht: Mit einem neutralen Dritten, dem solche Prozesse vertraut sind, geht es besser. Ihm stehen Methoden zur Verfügung, dem entgegen zu steuern.

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